Was Antiklassismus (nicht) ist

Auf Instagram geht gerade dieses reel vom linken Satiriker/Podcaster Jean-Philippe Kindler herum, in dem dieser über das ach so “linksliberale” Konzept #Klassismus spricht.

https://instagram.com/p/CmB27rjjXSE/

Wir haben dazu auch was zu sagen.

Kindler sagt: “Im Zentrum der Kritik steht nie die Armut an sich, sondern nur die Verlachung der Gleichen.”

Das ist eine stabile Kritik an verkürztem Antiklassismus. Verkürzter Antiklassismus ist aber eben KEIN Antiklassismus. Verkürzter Antiklassismus hat genau so viel mit Antiklassismus zu tun wie verkürzte Kapitalismuskritik mit Antikapitalismus. Wir wollen nicht leugnen, dass es Menschen gibt, die sowas propagieren – aber deshalb canceln wir doch auch keine berechtigte Kapitalismuskritik?

Um seinen vermeintlichen Klassismus zu demontieren, sagt er weiterhin:

“Der Kapitalismus bringt systemisch Sektoren hervor, in denen Menschen aufgrund ihrer Herkunft oder ihres Geschlechts überausgebeutet werden.”

Und wir sagen: Ganz genau!Denn gerade die soziale Herkunft ist dabei ein entscheidender Faktor. Klassismus ist ein Fundament des Kapitalismus und untrennbar mit diesem verbunden. Es ist eben genau die klassistische Markierung von Menschen mit “niedriger” sozialer Herkunft als faul, bildungsfern oder anderweitig minderwertig, die die Ausbeutung dieser Menchen rechtfertigt – ähnlich wie bei Sexismus, Rassismus oder Ableismus

Fakt ist: Antiklassismus heißt immer Antikapitalismus!

Uns geht es nicht darum, die Hürden für “sozialen Aufstieg” zu verringern – im Gegenteil. Uns geht es um die Abschaffung ausbeuterischer Hierarchien und sozialer Hierarchien im generellen!

Niemand fordert die Einführung eines “diskriminierungsfreien Kapitalismus” (Zitat Kindler) – und wenn, dann sind sie keine Antiklassist*innen.

Denn Antiklassismus ist eben keine linke Sprachpolizei, sondern eine emanzipatorische Kategorie.

Antiklassismus weißt auf die prekäre Lebenssituation armer Menschen hin und fordert Solidarität zwischen all denjenigen, die vom Kapitalismus auf verschiedene Weisen unterdrückt, ausgebeutet und drangsaliert werden. Er betrachtet viele Ebenen, insbesondere die materielle.

Die von Kindler aufgestellte Verknüpfung von Antiklassismus und “Wohlstandsverwahrlosung” gibt Wagenknecht-Vibes und ist voll daneben. Wir sind eine Gruppe aus Studis, Azubis oder von prekärer Lohnarbeit lebender Menschen, die größtenteils schon in Armut aufgewachsen sind.

Das trifft übrigens auf die meisten Antiklassist*innen zu, denn der Begriff Klassismus kommt von Betroffenen Personen und ist in Deutschland außerhalb dieser Bubble kaum in Medien, Diskursen, Wissenschaft oder gar der linken Szene etabliert.

Es ist immer wieder ernüchternd sich mit irgendwelchen Linken auseinandersetzen zu müssen, die Antiklassismus als etwas “bürgerliches”, “reaktionäres” oder “liberales” bezeichnen. Das ist nichts als realitätsferne Polemik, die die Kategorie Klassismus delegitimiert.

Das ist auch immer dann besonders schön, wenn es von privilegiert aufgewachsenen Bildungsbürgisöhnen kommt, die Armut nur als abstrakte Kategorie aus ihrem Marx-Lesekreis kennen. PS: Überbau und Basis beeinflussen sich gegenseitig!

Wer sich wirklich mit Antiklassismus beschäftigt, wird schnell merken, dass es mehr als eine liberale Empowerment-Kategorie ist. FDPler*innen die von Antiklassismus sprechen sind genauso glaubwürdig wie CSUler*innen, die von Antirassismus sprechen. Wer die Abschaffung von Klassismus fordert, fordert zwangsläufig die Abschaffung von Armut. Wer die Abschaffung von Armut fordert, kommt nicht umhin die Abschaffung des Kapitalismus zu fordern. Alles andere ist liberaler Bullshit.

Dringende Leseempfehlung für alle Linken, die Antiklassismus nicht ernst nehmen:

“Mit geballter Faust in der Tasche. Klassenkonflikte in der Linken”

Bisherige Ausgabe:
https://black-mosquito.org/de/geballte-faust-in-der-tasche-debatten-aus-schweden.html.html

Leider noch nicht raus:
https://edition-assemblage.de/buecher/mit-geballter-faust-in-der-tasche/

PS: Joppel macht sonst stabilen Content, aber das konnten wir nicht unwidersprochen lassen.

PPS: Die von Joppel empfohlene Autorin Bafta Sarbo stellt sich dem Klassismusbegriff btw immer wieder polemisch entgegen, so z.B. in diesem Podcast über Bell Hooks “Die Bedeutung von Klasse” – einem Buch über die Verknüpfung von Rassismus und Klassismus. An zahlreichen Stellen im Podcast zeigt sich Sarbo überrascht, wie weit Bell Hooks Klassismusbegriff geht. Das zeigt, dass Sarbo sich entweder nie mit der Kategorie Klassismus beschäftigt hat oder (viel wahrscheinlicher) sie einfach blind ideologisch ablehnt.

Klassismus und die Polizei: Weder Freund noch Helfer

Dass die Polizei kein “Freund und Helfer” ist, ist vielen bereits geläufig. Inwiefern das aus einer antiklassistischen Perspektive zutrifft, möchten wir im Folgenden erläutern.

Die Polizei ist ein staatliches Herrschaftsinstrument, das auf verschiedenste Weisen in unser aller Leben eingreift. Sie spiegelt wieder, wie die kapitalistische Gesellschaft mit Gruppen umgeht, die sie als randständig, nicht zugehörig, unbrauchbar und damit als zu bestrafend deklariert und ist daher nicht von der bestehenden klassistischen, rassistischen, sexistischen und anderweitig menschenverachtenden gesellschaftlichen Ordnung trennbar.

Schon von kleinauf wird uns vermittelt, dass die Polizei die Aufgabe hätte, für Sicherheit und Gerechtigkeit zu sorgen. Ein Blick in die Geschichte der Polizei reicht um zu sehen, dass es immer nur um die Sicherheit bestimmter Gruppen, z.B. Wohlhabender und Eigentum besitzender Menschen ging. Schon seit dem Mittelalter ist es eine zentrale Aufgabe der Polizei, Überlebensstrategien abseits der Lohnarbeit zu bekämpfen. Während früher vorallem Bettler*innen, Obdachlose und Vagabund*innen verfolgt und zur Zwangsarbeit verpflichtet wurden, so werden auch heute noch Menschen, die Auswege aus der Armut suchen, kriminalisiert.

Die Polizei ist Vollstrecker einer klassistischen Politik, in dem sie z.B. Ersatzfreiheitsstrafen durchsetzt. Ersatzfreiheitsstrafen sind seit dem Freiheitsfond in aller Munde: Sie bezeichnen die Umwandlung eines Bußgeldes in eine Gefängnisstrafe, wenn Menschen das Bußgeld nicht bezahlen können. Diese Strafen machen aktuell knapp 10% der Gefängnisstrafen aus und treffen nur arme Menschen. Wer Geld hat, der spürt die meisten Bußgelder kaum.

Ein weiteres Beispiel ist ihre Rolle in Gentrifizierungsprozessen, also der Aufwertung armer Viertel. So trägt sie unter anderem dadurch zur Verdrängung armer Menschen bei, indem sie sie bei Zwangsräumungen auf die Straße setzt, Wohnungslose Menschen vertreibt oder die Investitionen reicher Menschen in armen Vierteln schützt. Erinnert sei hier an den Mord am Obdachlosen Marcel K. dieses Jahr in Berlin, der sich in eine lange Reihe von Gewalttaten gegen arme Menschen stellen lässt.

Die Polizei setzt eine Ordnung durch, in der Privateigentum über Menschenleben steht. Sie schafft Sicherheit für die einen auf der Grundlage der Gewalt gegen die “anderen” – also gegen Schwarze Menschen, Sinti und Roma, trans Personen und arme und geflüchtete Menschen. Sie erfahren durch die Polizei in der Regel keinen Schutz – im Gegenteil.
Die Kriminalisierung von Armut ist eine ihrer zentralen gesellschaftlichen Funktionen. Unabhängig von den einzelnen Polizist*innen ist die Polizei gezwungen, menschenverachtende und diskriminierende Verhaltensweisen auszuüben und zu reproduzieren. Deshalb ist die Polizei nicht reformierbar.

Daher teilen wir die Forderung des Abolitionismus – also der Abschaffung der Polizei. Der Freistaat Sachsen gibt jährlich knapp über eine Milliarde Euro für die Polizei aus. Statt in den repressiven Polizeiapparat sollte das Geld in beispielsweise in Maßnahmen zur Schaffung von bezahlbaren Wohnungen, einer besseren (psychischen) Gesundheitsversorgung oder der Schaffung von Bewegungsfreiheit und Klimagerechtigkeit fließen.

Im Kampf gegen Klassismus hat eine Institution, deren Aufgabe es ist, den kapitalistischen Status Quo und all seine Ungerechtigkeiten mit Gewalt gegenüber jenen durchzusetzen, die am meisten Grund haben, das System abzulehnen, keinen Platz. Wir vergessen nicht die zahlreichen Gewaltexzesse und Morde, insbesondere auch an Persons of Colour und von Ableismus betroffenen Menschen, mit deren Kämpfen wir uns solidarisch erklären.

Antiklassismus geht nur von unten, selbstverwaltet und emanzipatorisch. In diesem Sinne – Her mit dem schönen Leben!


Weitere Leseempfehlungen & Quellen:

https://copwatchleipzig.home.blog/

https://www.akweb.de/gesellschaft/die-geschichte-der-polizei-in-europa/

https://www.akweb.de/ausgaben/661/warum-sich-die-polizei-nicht-aendern-wird/

https://www.tagesspiegel.de/kultur/abolitionismus-als-utopie-ohne-polizei-und-gefangnisse-8612443.html

https://forum-opferhilfe.de/wir-haben-ein-zerrbild-von-kriminalitaet/

Ronen Steinke – “Vor Gericht sind nicht alle gleich”

Gründung der Antiklassistischen Vernetzung // Solibar am 1.10. // Vortrag am 5.10.

No Racism, no Sexism, no Fascism, … – no Classism?
 
Von Konzertplakaten, Awarenesskonzepten bis hin zu den Auswahlkategorien linker Buchläden – wenn auf die gleichberechtigte Existenz verschiedener thematischer Kämpfe aufmerksam gemacht wird, fehlt in der Regel mindestens einer: Antiklassismus
 
Obwohl das Leben in prekären Verhältnissen für unzählige Menschen bitterer Alltag ist, gibt es insbesondere innerhalb linker Räume keinen nennenswerten Diskurs über die lähmende Perspektivlosigkeit, die erfahrene Abwertung oder die Folgen der ständigen Misshandlungen durch ein klassistisches System, dem Menschen inner- und außerhalb der linken Blase ausgeliefert sind. Die Menschen, die vom kapitalistischen System am härtesten ausgebeutet werden, sind innerhalb linker Kontexte so unsichtbar, dass es über ihre Problematiken weder einen Diskurs gibt, noch einheitliche Begrifflichkeiten.
 
Für uns ist klar, dass eine emanzipatorische Bewegung ihre Kämpfe intersektional von links und unten führen muss!
 
Auseinandersetzungen mit anderen Diskriminierungsformen wie Rassismus und Sexismus, die die Existenz von Klassen vergessen, laufen starke Gefahr in eine liberale, das kapitalistische System affimierende Richtung abzudriften.
 
Bringt Klasse in linke Räume!
 
Wir beobachten, dass Menschen mit Mittelschicht-Hintergrund in linken Räumen überproportional repräsentiert sind und sehen auch, dass gerade diese Menschen aufgrund ihrer sozialen Herkunft sehr oft kein Bewusstsein für die Lebensrealitäten der Unterschicht haben und sich teilweise nicht mal der Existenz einer prekarisierten Unterschicht bewusst sind. Die fehlende Auseinandersetzung mit sozialer Herkunft führt zu einer Unsichtbarmachung von Klasse als Kategorie und dadurch zwangsläufig zu einer Dominanz von privilegierten Menschen in linken Spaces und Gruppen. Wenn Menschen mit bürgerlichem Hintergrund die Themen setzen, spielen Armut, Klassismus und soziale Hierarchien in aller Regel keine Rolle.
 
Wir nehmen das nicht länger hin!
 
Deshalb haben wir, eine Gruppe von Klassismusbetroffener Menschen, die Antiklassistische Vernetzung Leipzig gegründet.
 
Mit Workshops, Vorträgen und Gelegenheiten zur Vernetzung wollen wir eine Perspektive für antiklassistische Arbeit schaffen.
 
Soli-Bar am 1.10. – Eisenbahnstraße 125 – Beginn: 20:00
 
Startpunkt hierfür ist unser Barabend am 1.10. in der Eisenbahnstraße 125. Beginn ist 20:00. Kommt bei Musik und Getränken mit uns ins Gespräch! Die Einnahmen des Barabends werden genutzt, um Workshops und Materialien zu finanzieren.
 
Vortrag: Bildungsungerechtigkeiten und Klassismus (von Andreas Kemper) – 5.10. / 17:00 – NS228 Seminargebäude
 
Unser erster Vortrag behandelt das Thema Bildungsungerechtigkeiten und Klassismus und findet am 5.10. um 17:00 im Raum 228 des Seminargebäudes am Hauptcampus der Uni statt. Den Vortrag wird Andreas Kemper halten – ein Soziologe der sich seit langem mit Klassismus auseinandersetzt und eine zentrale Persönlichkeit in der Wiederbelebung des antiklassistischen Diskurses ist.
 
Für mehr Infos, folgt uns auf Social Media:
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https://antiklassistischevernetzungleipzig.blackblogs.org/
 
Kommt vorbei – wir freuen uns auf euch!